1. Einleitung
Obwohl beide von Hause aus keine Soziologen sind, haben sowohl Foucault als auch Latour zur Soziologie und zum Sozialen ein dezidiertes Verhältnis. Außerdem werden ihre Theorien in der Soziologie als "Ansätze" diskutiert und gelehrt, Foucault zumeist unter dem Etikett "Diskursanalyse", Latour unter dem der "Akteur-Netzwerk-Theorie" (ANT).1 Um diese soziologische Rezeption soll es im Folgenden zwar auch, wenngleich am Rande gehen. Im Zentrum aber steht Foucaults Charakterisierung der Soziologie als anthropologische Wissenschaft in seinem Buch Die Ordnung der Dinge.2 Daran schließt die Frage an, ob eine nicht-anthropologische Soziologie denkbar ist und möglicherweise in der Akteur-Netzwerk-Theorie Latours Gestalt gewonnen hat.3 Zunächst will ich herausarbeiten, was unter der Soziologie als einer anthropologischen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts zu verstehen ist. Dazu erfolgt eine genaue Re-Lektüre dessen, was Foucault in der Ordnung der Dinge zu den entstehenden Humanwissenschaften sagt, die er als anthropologisch charakterisiert. Dies ist ebenfalls für die Interpretation von Foucaults Werk interessant, denn in der Regel wird die Anthropozentrik auf den Subjektbegriff verkürzt. Aber die zentrale (und doppeldeutige) Stellung des Subjekts ist nur eine ihrer Eigenschaften. Auch wird diese vor allem im Zusammenhang philosophischer Positionen diskutiert (etwa Phänomenologie, Existenzialismus, Hegel, Marx),4 und kaum bezogen auf die Soziologie.
Es erstaunt ja schon, dass Foucault so umstandslos von der Soziologie vereinnahmt wird,5 wo er diese doch in der Ordnung der Dinge so deutlich kritisiert. Auffallend ist auch, dass die Anthropologiekritik für seine soziologische Rezeption so gut wie keine Rolle gespielt hat und kaum thematisiert worden ist.6 Daher erscheint es mir nützlich, genauer herauszuarbeiten und zu explizieren, was unter der Anthropologie bzw. Anthropozentrik der sogenannten Humanwissenschaften und insbesondere der Soziologie zu verstehen ist. Ausgehend von dieser Lektüre wird in einem zweiten Schritt eine theoretische (und vielleicht leicht anachronistische) Versuchsanordnung aufgebaut: Entspricht Latours Soziologie den Kriterien einer nicht-anthropozentrischen Soziologie, wie sie sich aus Foucaults Ordnung der Dinge ergeben? Nicht nur für die Interpretation von Foucaults Werk, sondern auch für den Entwurf einer nicht-anthropozentrischen "neuen Soziologie" scheint mir dies eine interessante Fragestellung zu sein.7
Als erstes werde ich kurz den argumentativen Rahmen Foucaults skizzieren; zweitens die Soziologie, wie sie als Humanwissenschaft des 19. Jahrhunderts von Foucault charakterisiert und historisch eingeordnet wird, genauer darstellen; drittens Latours Soziologie der Assoziationen als nicht-anthropozentrische Alternative diskutieren, wie sie unter anderem in den Existenzweisen auftaucht. Zuletzt werde ich dann die Komplementarität, die ich so zwischen den beiden Autoren hergestellt habe, wieder in Frage stellen bzw. wieder in die Schwebe bringen, indem ich ihre unterschiedliche Vorstellung von dem, was Moderne heißt, kurz in den Blick nehme.
2. Die Soziologie als Humanwissenschaft des 19. Jahrhunderts
In der Ordnung der Dinge kommt "die Gesellschaft" explizit selten vor, gemeinhin als fraglose Gegenstandsbezeichnung und nicht als prononcierter Begriff Foucaults. So ist etwa die Rede von der "Industriegesellschaft", die neue Normen gegenüber den Individuen durchsetzt.8 Ausdrücklich besprochen wird aber die Wissenschaft von der Gesellschaft, die Soziologie. Denn diese gilt Foucault als eine der "Humanwissenschaften", die im 19. Jahrhundert entstehen. Man erinnert sich: Foucault erforscht die grundlegenden Verschiebungen, die sich um 1650 und dann um 1800 in den Wissensordnungen ereigneten, anhand der drei Wissensdiskurse Naturgeschichte, allgemeine Grammatik, Analyse der Reichtümer. Diese orientierten sich im 19. Jahrhundert neu, nachdem sie im klassischen Zeitalter (17.–18. Jahrhundert) eine bestimmte Konstellation zwischen ihren Begriffen (den "Wörtern" im französischen Titel Les mots et les choses) und ihren Gegenständen (den "Dingen") gebildet hatten, eine Konstellation, die ihren Dreh- und Angelpunkt in der Repräsentation gefunden hatte. An ihre Stelle traten im 19. Jahrhundert die Wissenschaften Biologie, Sprachwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft.
Gleichzeitig mit der Formierung dieser drei Wissenschaften, die sich am markantesten darin gleichen, dass "der" Mensch ins Zentrum des Interesses und der Erklärung rückt, entstanden damals drei neue Wissenschaften: Soziologie, Psychologie, etwas später Ethnologie, die eine ähnliche anthropologische Struktur aufweisen und sich auf Modelle jener drei anderen Wissenschaften stützen. Genau genommen, gehören diese "Humanwissenschaften" schon zu einer dritten Verschiebung, die man um 1900 datieren könnte, wie es Friedrich Kittler tut.9 Von diesen drei Humanwissenschaften interessiert im Folgenden nur die Soziologie. Diese neu entstehende Wissenschaft denkt anthropozentrisch – Foucault sagt "anthropologisch", was im Sinne einer Anthropo-Logik zu lesen ist.10 Danach stellt der Mensch das Prinzip, die Grundlage dar, anhand derer die Gesellschaft, das Zusammenleben der Menschen und die daraus resultierenden Konflikte und Regeln gedacht werden: "Die Soziologie ist grundlegend eine Untersuchung des Menschen im Rahmen von Regeln und Konflikten".11
Der tiefere Sinn gesellschaftlicher Regeln und Konflikte liegt im Menschen, d.h. in meinen Worten formuliert: in seiner Intentionalität, Subjektivität, seinem Bewusstsein, in den Beziehungen der Menschen untereinander (Interaktion und Kommunikation), im Zwischenmenschlichen, im sozialen Handeln (das meist ausgehend vom subjektiven Sinn bzw. der Intentionalität verstanden wird). Ausgeblendet bleiben in dieser Sicht des Sozialen Dinge und andere nicht-menschliche Entitäten. Für Latour soll dagegen das "Kollektiv" von Menschen und Nicht-Menschen die Gesellschaft der traditionellen Soziologie beerben. Das bringt eine Dezentrierung der Stellung des Menschen mit sich. Auf dem Hintergrund von Foucaults Überlegungen scheint es kein Zufall zu sein, dass gerade dieses Moment von Latours Soziologie heftig kritisiert worden ist.12 In den teilweise empörten Reaktionen zeigt sich, wie anthropozentrisch die traditionelle Soziologie nach wie vor denkt. Danach gehören Dinge und andere nicht-menschliche Entitäten nicht zum genuin Sozialen, weil sie beispielsweise nicht im eigentlichen Sinne handeln können, oder weil sie nur als Materiestücke oder natürliche Wesen gelten, an die die Menschen ihre arbiträren Bedeutungen heften.13 Von dieser klassischen Soziologie, die er als "Soziologie des Sozialen" tituliert, unterscheidet Latour seine eigene und verwandte, wie die Gabriel Tardes, die er als "Soziologie der Assoziationen" bezeichnet.14
3. Anthropo-Logik der Soziologie
Die Soziologie wird von Foucault als Humanwissenschaft mit anthropologischer Struktur charakterisiert. Dieser Spur will ich nun gründlicher nachgehen. Was besagt zunächst anthropologisch? Es heißt, kurz gesagt, den Menschen "zur Grundlage, zum Maßstab und zum Zielpunkt" der Überlegungen zu machen,15 wobei der Mensch "als dichte und ursprüngliche Realität, als schwieriges Objekt und souveränes Subjekt jeder möglichen Erkenntnis" verstanden wird.16 In heutigen bzw. Weber'schen Termini heißt anthropozentrische Soziologie: Soziales Handeln ist Kern des Sozialen. Soziales Handeln wird ausgehend von Intentionalität oder subjektivem Sinn verstanden und ist damit nur Menschen möglich. Substanz, Grundlage, Prinzip des Sozialen sind also im oder beim Menschen zu suchen.
Die Humanwissenschaften behandeln nicht das Leben, die Sprache und die Arbeit des Menschen in der größten Transparenz, in der diese sich zeigen können, sondern in jener Schicht von Verhaltensweisen, Benehmen, Attitüden, bereits vollzogenen Gesten, bereits ausgesprochenen oder geschriebenen Sätzen, innerhalb deren sie vorab ein erstes Mal denen gegeben worden sind, die handeln, sich verhalten, tauschen, arbeiten und sprechen.17
"Denen…, die handeln, sich verhalten…", das sind die Menschen. In diesem Zitat finden sich wie in einem Brennpunkt verschiedene Aussagen gebündelt, die im weiteren noch genauer entwickelt werden sollen. Zunächst einmal arbeitet Foucault hier eine Faltung, eine Verdoppelung heraus, die eine merkwürdige epistemologische Position impliziert. Doch gleichzeitig wird eine Art Ursprungsmythos, eine ontologische Vorgängigkeit formuliert – "vorab", "ein erstes Mal" –, worin sich das anthropozentrisch gedachte Soziale konstituiert. In der Soziologie wird dieser Ursprung bzw. diese Verdoppelung in den Ursprung hinein bisweilen auch von einem sie tragenden Bewusstsein her gedacht und somit die Repräsentation (und/oder Konstitution) der Gesellschaft (oder des Sozialen) im Bewusstsein oder in der Vorstellung der einzelnen Menschen postuliert. Die Konsequenzen der Anthropo-Logik für die Soziologie werde ich nun in vier Schritten genauer darlegen (von denen manche soeben in der Interpretation des Zitats schon kurz angedeutet wurden), wobei ich jedes Mal am Ende die Gegenposition Latours formuliere, die ich später (in "Die nicht-anthropozentrische Soziologie der ANT") noch einmal zusammenfassen werde.
Erstens: Die Instanz des (menschlichen) Bewusstseins fungiert als Träger des Sozialen. Am deutlichsten anthropozentrisch ist die Soziologie dann, wenn sie alles und jegliches Soziale im menschlichen Individuum und dessen Bewusstsein fundiert. Demnach ist der "soziologische Bereich" jener Bereich,
wo das arbeitende, produzierende und konsumierende Individuum sich die Repräsentation der Gesellschaft gibt, in der diese Aktivität vollzogen wird; der Gruppen und Individuen, unter denen sie verteilt ist; der Befehle, Strafen, Riten, Feste und des Glaubens, durch die sie unterhalten oder skandiert wird.18
"Intentionalität" lautet in der neueren Soziologie das Schlüssel- und Kennwort für die Bewusstseinsfundierung des Sozialen.19 Foucault formuliert es im soeben wiedergegebenen Zitat ein wenig anders, aber der Ort oder die Instanz, wo das Individuum "sich die Repräsentation der Gesellschaft gibt", dürfte wohl im Bewusstsein liegen. Im Unterschied zum klassischen Zeitalter meint Repräsentation hier allerdings nicht eine transparente Repräsentation; sondern es ist stets ein getrübtes oder psychisch bzw. sozial gefärbtes Bewusstsein, dem die Gesellschaft oder ihre Regeln präsent sind. Dagegen läßt sich bezweifeln, ob Norm, Regel und System20 des Sozialen bzw. der Gesellschaft im oder dem Bewusstsein gegeben sein müssen. Dass sie irgenwann die verschiedensten Bewusstseine durchlaufen können (und vermutlich von Zeit zu Zeit auch müssen),21 mag sein. Dennoch sollte, wie Foucault formuliert, "die Instanz der Repräsentation in der Schwebe gehalten" werden.22
Sie kann zwar im Bewusstsein zu finden sein, aber auch, würde ich sagen, im verteilten Handeln, in der verteilten Kognition, im System der Sprache, in der Schrift, in Diskursen, im Unbewußten, wo Foucault sie an der zitierten Stelle verortet, bis hin zu physiologischen Trägern (wozu nicht nur hirnphysiologische, sondern auch sensomotorische Prozesse zu rechnen wären). Die sogenannten Praxistheorien (diejenige Bourdieus etwa) ersetzen zwar das Bewusstsein durch den menschlichen Körper (und Habitus) und das intentionale Handeln durch Praxis. Indem sie aber das menschliche Subjekt der Praxis bzw. Praktiken betonen, sind sie immer noch, wenn nicht sogar in noch größerem Maße, anthropozentrisch. Das gilt ebenfalls für die Marx'sche Sozialtheorie.23
Für Latour besteht Gesellschaft (bzw. das Kollektiv) bekanntlich nicht nur aus Menschen; Träger des Sozialen sind nicht allein Menschen, damit nicht nur Bewusstseine; das verteilte Handeln, die nicht bewusstseinsbasierte agency, die verteilte Kognition bilden verschiedene Instanzen für die Repräsentation bzw. das soziale Handeln. Positiv und allgemeiner formuliert: Träger des Sozialen sind heterogene Assoziationen und Akteurnetzwerke.
Zweitens: Der Mensch tritt auf als empirisch-transzendentaler Doppelgänger. Er erscheint nicht nur als Gegenstand der neuen Humanwissenschaften, sondern wird gleichzeitig immer auch als erkennendes oder der Erkenntnis fähiges Subjekt verstanden, d.h. als transzendentales Erkenntnissubjekt, über das man im empirischen Forschungsgegenstand Aufschluß zu gewinnen sucht. Das impliziert eine merkwürdige epistemologische Position, von Foucault tentativ als "meta-epistemologisch" bezeichnet24 und in der "empirisch-transzendentalen Dublette" auf den allgemeinen Begriff gebracht, wonach der Mensch "ein solches Wesen ist, in dem man Kenntnis von dem nimmt, was jede Erkenntnis möglich macht."25 Als empirisch aufschlussreiche Forschungsgegenstände in diesem Sinne dienen einmal die anatomisch-physiologischen, dann wieder die historischen oder sozialen Bedingungen der Erkenntnis. Auf diese beiden empirischen Stützpunkte wird auch heutzutage im Sozialkonstruktivismus gerne wieder zurückgegriffen: neurophysiologische (Gehirn) und soziale Bedingungen der Erkenntnis geben den unhinterfragten Rahmen der ansonsten kontingenten sozialen Konstruktionen ab.
Die konfliktreiche Polarität zwischen empirischem und transzendentalem Subjekt findet sich in der Soziologie wieder in der nicht enden wollenden Methodendiskussion,26 wonach das transzendentale Erkenntnissubjekt im forschenden Individuum bzw. in der Forschungsgemeinschaft verkörpert ist (aber damit seinerseits, da diese in der Gesellschaft operieren, eben nicht mehr rein transzendental sein kann, es läßt sich allenfalls noch als Extrapolation bzw. in Gesten und Aussagen implizierte Instanz denken) und das empirische im Bewusstsein der gewöhnlichen Gesellschaftsmitglieder. Einer der Auswege aus diesem Dilemma ist der Dualismus zwischen Erklären und Verstehen.27 Das Bewusstsein der gewöhnlichen Gesellschaftsmitglieder kann aber auch in einem gesellschaftlichen Überbewusstsein gebündelt werden (conscience collective bei Durkheim), dann rückt es, unter Umständen noch als gesellschaftliches Gesamtsubjekt überhöht, in die transzendentale Position ein, von der aus nun den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern durch Zwang oder Determination ihr Handeln und Bewusstsein vorgegeben oder vorstrukturiert wird.
Eine weitere Manifestation der konflikthaften Polarität zwischen empirischem und transzendentalem Subjekt lässt sich in der Debatte um den Dualismus zwischen dem Handeln der einzelnen Menschen und der Gesellschaftsstruktur wiedererkennen: die Gesellschaft(sstruktur) geht zwar aus menschlichem Handeln hervor, aber gibt dieses auch vor bzw. determiniert es (Polarität von agency und structure). Die epistemologische Doppelgänger-Existenz des Menschen bzw. die zwei Pole einer extrem instabilen Situation versucht Latour in seiner Soziologie aufzulösen, und zwar erstens durch die ethno-methodologische Perspektive (die einhergeht mit einer etwas ruppigen Ignoranz gegenüber den epistemologischen Ambiguitäten und Dualismen), und zweitens durch die Akteurnetzwerke, in denen eine Alternative zur grundlegenden Polarität zwischen dem einzelnen Menschen (dessen Handeln, Bewusstsein) und der gesellschaftlichen Struktur geliefert wird, da sie den Gegensatz Handeln vs. Struktur unterlaufen.
Drittens: Die Zentrierung auf den Menschen führt zu einer Marginalisierung der Dinge und Vermittlungen. Der Mensch als Lebewesen, als arbeitendes Wesen und als sprechendes Subjekt ist eine Ursprungsvermutung, Ursprungsunterstellung, die einerseits auf einer gewissen Ebene wahr ist. Diese Vermutung markiert eine "Falte", wie es bei Foucault heißt, "in der der Mensch in aller Naivität eine seit Jahrtausenden bearbeitete Welt bearbeitet", in der er "ein Leben lebt, das bis in die ersten organischen Formationen zurückgeht; in der er Wörter in noch nie gesprochenen Sätzen […] zusammensetzt".28 Andererseits jedoch ist "diese dünne Oberfläche des Ursprünglichen, die unsere ganze Existenz bemißt und ihr nie fehlt" von einem bis zum anderen Ende "bevölkert mit jenen komplexen Vermittlungen, die in ihrer eigenen Geschichte die Arbeit, das Leben und die Sprache gebildet und niedergelegt haben",29 also unter anderem technische Gegenstände, Maschinen, Essgewohnheiten, Sinnesleistungen, Sätze, Sprüche, Texte, Archive und Lieder. Nur scheinbar steht der Mensch im Zentrum, in der Mitte, nur wenn man an einer bestimmten Stelle das Geschehen interpunktiert. In Wirklichkeit sind dort meist jene komplexen dinglichen, physiologischen und sprachlichen Vermittlungen zu finden, die er in seinem Tun und Treiben wiederbelebt.
Differenzierter formuliert: Meist werden sich wechselnde Konstellationen finden oder vorstellen lassen, doch sollte man nicht prinzipiell nur vom Menschen aus die Dinge befragen bzw. von den Dingen her den Menschen aufsuchen als ihren Sinngeber, sondern zumindest bisweilen auch in der Sprache (dem Leben, der Ökonomie) oder den Dingen den Sinn oder die Bedeutung suchen, die vom Menschen dann erfahrbar sind. Bei Foucault werden Mittel und Vermittlungen des Menschen zwar hauptsächlich historisch charakterisiert,30 doch nicht umsonst spricht er (nicht nur in seinem Buchtitel) von den "Dingen".31 Und Latour seinerseits thematisiert die dinglichen, medialen und schriftlichen Vermittlungen wieder und wieder, die in ihrer empirischen Trivialität und Positivität rasch in den Blick kommen, wenn man nicht mehr im Sozialen immer nur den menschlichen (Ur)Grund sucht. Fast spiegelbildlich dazu und Foucaults Diagnose bestätigend, werden in den Latour-kritischen Polemiken der klassischen Soziologie wieder und wieder die Ursprünglichkeit menschlicher Intentionen und Inkraftsetzungen (enactments) geltend gemacht, ohne welche die vermittelnden Dinge gewissermaßen in sich zusammenfallen würden32 – es ist dies das große anthropozentrische Aber, mit dem wir immer wieder in die Ursprungsschleife zurückverwiesen werden.
Viertens: Schließlich folgt aus der anthropologischen Grundstruktur der neuen Humanwissenschaften ein Reduktionismus, bekannt unter den Formen Soziologismus und Psychologismus, die Foucault beide als "Anthropologismus" bezeichnet.33 Dieser Reduktionismus führt Denken und Kulturleistungen, etwa Wissenschaft, Kunst, Religion oder Technik, zurück auf ihren Ursprung in einem psychologisch oder gesellschaftlich konstituierten menschlichen Subjekt. Oder aber reduziert sie auf ihre psychologischen bzw. sozialen Bedingungen, was soviel heißt wie: es werden die Forschungsergebnisse der jeweiligen Humanwissenschaft Psychologie oder Soziologie zur alleinigen Erklärung herangezogen. Foucault sieht dagegen im Denken von etwas Neuem mehr als nur "ein soziologisches Phänomen", es gibt ein soziologisch nicht einholbares "Werden des Wissens", eine "Geschichte des Denkens".34 Schärfer formuliert er es, wenn er eine soziologische Erklärung für das Denken mit den Worten zurückweist:
Aber wenn die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe auch erklären kann, daß diese oder jene ein Denksystem eher als das andere gewählt hat, besteht die Bedingung dafür, daß dieses System gedacht worden ist, niemals in der Existenz dieser Gruppe.35
Noch polemischer ist von der "Dummheit" die Rede, "zu glauben, daß alles Denken die Ideologie einer Klasse 'ausdrückt'".36 Auch später (1981) plädiert er in einem Interview, das dem "Denken" gewidmet ist, noch einmal ausdrücklich dafür, sich "von der Sakralisierung des Sozialen als einziger Realitätsinstanz" zu lösen.37 Die Formulierung von einem sakralisierten Sozialen könnte fast von Latour stammen.38 Zu jeglichem Reduktionismus und damit auch zum soziologistischen hat dieser ein explizites Gegenprogramm formuliert, das sich als Irreduktionismus bezeichnen ließe. Das fängt bei den "Irréductions" an, dem zweiten, philosophischen Teil seines Pasteur-Buchs,39 und geht bis zu den Existenzweisen, wo es in Richtung Soziologismus heißt: "Die Gesellschaft ist […] stets das, was man erklären muß, und nicht das, was erklärt".40 Wird Gesellschaft als das, was erklärt, verstanden, so gelangt man zu jenen sozialen Erklärungen, die etwas geleistet zu haben glauben, wenn sie beispielsweise hinter dem Denken oder der Wissenschaft gesellschaftliche Ursachen entlarven. Meist führen sie das Betreffende auch darauf zurück, reduzieren es darauf (das Soziale als "einzige Realitätsinstanz", wie Foucault es in dem gerade wiedergegebenen Zitat formulierte).41
4. Die nicht-anthropozentrische Soziologie der ANT
In den Existenzweisen verbindet Latour verschiedene Institutionen bzw. Situationen in der modernen Gesellschaft durch einen Erzählstrang, in dem eine "Ethnologin" oder "Anthropologin" (Latour verwendet beide Bezeichnungen) nacheinander verschiedene Stätten aufsucht, wo die Werte der Modernen42 produziert werden, wie etwa ein wissenschaftliches Labor, ein religiöses Ritual oder ein technisches Projekt. Dabei versucht sie herauszufinden, was das Spezifische von Wissenschaft, Technik, Religion oder Kunst ausmacht, die als unterschiedliche "Existenzmodi" bestimmt werden. Die imaginäre Forschungsreise der Ethnologin rekapituliert verschiedene empirische Untersuchungen, die Latour selbst durchgeführt hat.43 Dieses Narrativ ermöglicht eine im engeren Sinne soziologische oder sozialtheoretische Lesart des Buchs.44
So gelesen, präzisieren die Existenzweisen die Akteur-Netzwerk-Theorie. Von der allgemeinen und pauschalen Aussage, dass die Gesellschaft aus Akteurnetzwerken besteht, bewegt sich Latour hin zu einer differenzierteren Beschreibung, wonach die (moderne) Gesellschaft aus spezifischen Akteurnetzwerken besteht, nämlich technischen, wissenschaftlichen, religiösen, fiktionalen…, deren jeweilige Eigenheiten in dem Buch genauer dargelegt werden.45 Damit wird bereits eine bestimmte Definition des Sozialen geliefert, die man je nachdem als eine differenzierungstheoretische Sozialtheorie oder als große Erzählung des Sozialen lesen kann. Auch wenn Latour – ähnlich wie Foucault46 – eine totalisierende Gesellschaftstheorie ablehnt, erkennt er entsprechenden Versuchen einen relativen Wert zu, die er als "Panoramen" bzw. "große Erzählungen" des Sozialen charakterisiert.47
Interessanter aber noch ist die Bestimmung des Sozialen als Assoziation mehrerer Existenzmodi. "Für die Akteur-Netzwerk-Theorie definiert das 'Soziale' nicht ein Material, das von anderen Materialien verschieden wäre, sondern ein Weben von Fäden, deren Ursprünge zwangsläufig verschiedenartig sind"; das Soziale besteht folglich "aus der Verkettung aller Modi."48 "Das Soziale, das sind sie alle."49 Wie die Verkettung oder Bündelung aller (oder mehrerer) Modi vonstatten geht und genauer zu denken wäre, ist nicht mehr Thema des Buchs, das hauptsächlich ihre Spezifik und Inventarisierung thematisiert. Es gibt für Latour also keinen spezifischen Existenzmodus des Sozialen, demnach auch keine Sozialontologie im engeren Sinne. Das hat mittelbar auch mit der dezentrierten Stellung menschlicher Akteure in seiner Soziologie zu tun. Denn die verschiedenen Versuche, ein Soziales sui generis zu begründen, laufen in der Regel darauf hinaus, das Eigene menschlichen Handelns im Unterschied zu animalischem Verhalten qua Bewusstsein, Intentionalität oder Reflexivität zu bestimmen.50 Die Anthropologie dient als Grundlage der Sozialität, das heißt vor allem: biologische, psychologische und manchmal sogar soziale Fähigkeiten des menschlichen Individuums.
Es ist nun expliziter und zusammenfassend die Frage zu beantworten, ob eine nicht-anthropozentische Soziologie in der Akteur-Netzwerk-Theorie Latours verwirklicht ist. Latour bezieht, wie im einzelnen schon dargelegt, in allen vier Punkten eine Gegenposition zur anthropozentrischen Soziologie:
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Nicht das Bewusstsein ist Träger des Sozialen, das Soziale ist per definitionem heterogen. In den Existenzweisen bilden Quasi-Subjekte, Quasi-Objekte und ihre Relationen "das Soziale", aber nicht "die" Gesellschaft. Denn:
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Das Großsubjekt Gesellschaft oder das gesellschaftliche Gesamtsytem, das (nach der soziologistischen Umdeutung) die Stelle des transzendentalen Subjekts einnimmt, wird von Latour vehement kritisiert. In methodologischer Hinsicht dient die Ethnologie als Vorbild.
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Die dinglichen, medialen und schriftlichen Vermittlungen werden in ihrer Relevanz herausgearbeitet.
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Soziologismus und die Gesellschaft als Metaerklärung werden zurückgewiesen.
In den Existenzweisen werden technische Objekte, fiktionale Entitäten, wissenschaftliche Referenten als Quasi-Objekte und mögliche Gegenstände der Soziologie bestimmt. Das heißt, sie werden nicht nur als Kategorien oder Wertsphären auf der Subjekt- und Menschenseite verbucht. Betont wird neben der Pluralität die Heterogenität und Objekthaftigkeit oder Objekthaltigkeit vieler Bestandteile des Sozialen. Aber auch die von diesen Objekten teilweise hervorgerufenen und ermöglichten Quasi-Subjekte gehören dazu, deren politischer, juristischer und religiöser Existenzmodus genauer beschrieben werden, nicht zu vergessen die Verbindungen zwischen Quasi-Subjekten und -Objekten bzw. Menschen und Nicht-Menschen.51
Gegen diesen Versuch, Latours nicht-moderne Soziologie im Kontrast zur anthropologischen Grundstruktur der modernen Soziologie, wie sie als Humanwissenschaft im 19. Jahrhundert in Erscheinung tritt, zu positionieren, könnte man einwenden, dass damit möglicherweise nicht die Ebene erreicht wird, auf der Foucaults Überlegungen angesiedelt sind. Indem man ein Gegenprogramm entwirft oder explizite Gegenthesen aufstellt, läßt sich einer historischen Tendenz oder einer historisch gegebenen Struktur der soziologischen Wissenschaft nicht so leicht entkommen.
Vielleicht müsste man dazu die Orientierung an der Ethnologie betonen, gerade weil sie auch für Foucault als Fluchtlinie aus der modernen Wissensordnung des 19. Jahrhunderts hinausweist; ähnlich die Orientierung an der Semiotik (s.u. Abschnitt 5). Man könnte aber auch innerhalb der Soziologie andere Tendenzen oder Ansätze hervorheben, die in ähnlicher Weise von der Bewusstseinszentriertheit abrücken oder Dinge bzw. Objekte einbeziehen, wie etwa die Soziologie Gabriel Tardes. Im Unterschied zu Durkheim ist Tarde nicht an einem cartesianischen Bewusstsein orientiert und bezieht die Dinge als Formen der Vergesellschaftung und Assoziation ein.52 Hier lässt sich außerdem die Systemtheorie Luhmanns anführen, dessen nicht auf den Menschen zentrierte Sichtweise des Sozialen sogar eine eigene Formel gefunden hat, wonach die Menschen zur Umwelt sozialer Systeme gehören und nicht Forschungsgegenstand der Soziologie sind.53 Auch die Soziologie der Rechtfertigungsordnungen, wie sie Boltanski und Thévenot entwickelt haben, sollte hier erwähnt werden; nicht nur wegen ihrer Objektorientiertheit, sondern auch weil "die subtile Präzision ihrer Analysen" an Foucault erinnert.54
Weiterhin wäre das Verhältnis zwischen Soziologie und "philosophischer Anthropologie" zu berücksichtigen, sofern man unter letzterer das Theorieprogramm versteht, das von Scheler, Plessner und Gehlen im 20. Jahrhundert entwickelt worden ist.55 Während die Soziologie des 19. Jahrhunderts untergründig nach dem Menschen gefragt hat, wenn sie die Gesellschaft untersuchte, macht die philosophische Anthropologie umgekehrt aus dieser Frage ihren expliziten Gegenstand. Hier wäre die anthropologische Grundstuktur der Humanwissenschaften gewissermaßen an die Oberfläche gespült worden, fast könnte man sagen, zu sich selbst gekommen (nicht zufällig sind alle drei Autoren Soziologen). Wie immer man sonst zu diesem Theorieprogramm stehen mag, es hätte die Sozialwissenschaften davon befreit, das Wesen des Menschen als ihren untergründigen und eigentlichen Erkenntnisgegenstand zu nehmen, und dieser Fragestellung eine brauchbare oder zumindest diskussionswürdige Fassung gegeben. Aber anthropologische Überlegungen sollten dann nicht als Fundament der Soziologie dienen, sondern als Komplement oder Korrektiv.56
Damit sind drei Linien angedeutet, auf denen die Überlegungen zu einer nicht-anthropozentrischen Soziologie weitergeführt und vertieft werden könnten: das Verhältnis zur philosophischen Anthropologie, die Einbeziehung anderer soziologischer Theorien und die ethnologische bzw. ethno-methodologische Perspektive.
5. Differenzen und gemeinsame Fluchtlinien
Abschließend soll kurz die Frage beantwortet werden, was Latour und Foucault unter "Moderne" verstehen; nebenbei werde ich einige weitere Differenzen und Gemeinsamkeiten skizzieren. Ihre Nähe zeigt sich vor allem darin, daß beide das Bewusstsein nicht als Grundlage des Sozialen nehmen. Aber vielleicht läßt sich auch in dem impliziten (hohen) Status der Semiotik bzw. der Linguistik eine Gemeinsamkeit erkennen. Für Latour soll nämlich die Semiotik als "Infrasprache" an die Stelle der soziologischen Metasprache treten.57 Foucault zeichnet am Ende der Ordnung der Dinge einige Fluchtlinien, auf denen sich der anthropologischen Struktur der Humanwissenschaften entkommen ließe.58 Dabei setzt er seine Hoffnungen auf die Disziplinen der Psychoanalyse, der Linguistik und der Ethnologie.
Die Psychoanalyse, weil sie, zumindest in ihrer Lacan'schen Variante, das Unbewusste der Sprache ins Zentrum rückt und den Menschen samt seinem Ich in die Peripherie; die Linguistik, weil sie die Sprache als eigenes System und nicht allein auf den Menschen zentriert untersucht. Und schließlich die Ethnologie, weil sie mit einem (relativ) souveränen Blick die Gesellschaften bzw. Kollektive erforscht und beschreibt, ohne sich in der empirisch-transzendentalen Doppeldeutigkeit des menschlichen Subjekts zu verfangen. "Sie hebt den langen 'chronologischen' Diskurs auf, durch den wir versuchen, unsere eigene Kultur innerhalb ihrer selbst zu reflektieren"; stattdessen richtet sie ihr Interesse darauf, "synchronische Korrelationen in anderen Kulturformen hervorzuheben."59 Wie bereits gesagt, teilt Latour diese Orientierung an der Ethnologie. Beide arbeiten, könnte man sagen, an einer "inneren Ethnologie" der Kultur der Modernen.60
In der Ordnung der Dinge und in den Existenzweisen ist viel von den Modernen oder der Moderne die Rede. Aber verstehen beide Autoren darunter dasselbe? Für Latour ist "Moderne" vornehmlich die Neuzeit, die "große Trennung" zwischen Natur und Kultur, zwischen uns (Modernen) und den anderen (Vormodernen),61 oder auch die Spaltung zwischen primären und sekundären Eigenschaften, zwischen Kausalität und Intentionalität62 – Galilei, Descartes –, sie beginnt also um 1650. Foucault dagegen läßt die Moderne um 1800 anfangen und definiert sie parallel zur Heraufkunft der modernen Gesellschaft und der modernen Wissenschaften Ökonomie, Biologie und Sprachwissenschaft, also im Kontrast zum klassischen Zeitalter (das in Latours Kalender bereits zur Moderne im Sinne der Neuzeit gehört). Für Latour ergibt sich aus seiner Definition der Moderne unter anderem die Kritik am absoluten Vorrang der wissenschaftlichen Erkenntnis, wonach der Existenzmodus der wissenschaftlichen Referenz als Metasprache aller anderen Existenzweisen zu gelten hätte. Foucault wiederum kritisiert eine bestimmte Kleingeistigkeit und anthropologische Schläfrigkeit in den im 19. Jahrhundert entstandenen Humanwissenschaften.63 Diese sind nicht bereit, die Befreiungsbewegung der modernen literarischen Avantgarde (Mallarmé und andere) nachzuvollziehen, noch lassen sie sich auf die philosophischen und methodologischen Umwälzungen ein, wie sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Nietzsche bzw. im 20. Jahrhundert in Ethnologie, Psychoanalyse und Linguistik bzw. Semiologie initiiert worden sind.64 Darüber hinaus versteht Foucault die Moderne in der Tradition (und Kritik) der Aufklärung.65
Die Implikationen von Foucaults Ausblick in der Ordnung der Dinge sind alles andere als klar. Nicht selten hat man darin eine Eigenart seiner vom Strukturalismus geprägten Archäologie erkennen wollen, die dann in seinen genealogischen Arbeiten überwunden worden wäre.66 Interessant sind diese Fluchtlinien über die modernen Humanwissenschaften hinaus aber zumindest insofern, als Bruno Latour sich ebenfalls damit beschäftigt hat, was nach der Moderne kommt oder, weniger dramatisch formuliert, ob einige Paragraphen "der modernen Verfassung" sich neu redigieren ließen.67 So wie Foucault ins Soziologische, greift er mit seinen Überlegungen über ins Historische. Ohnehin ist die genaue disziplinäre Verortung beider Autoren nicht ganz einfach. Latour geht von der Soziologie aus, steht also innerhalb der Tradition der von Foucault so genannten Humanwissenschaften, andererseits bricht oder verändert er diese Tradition, weil er eben nicht mehr anthropozentrisch vorgeht. Er argumentiert ebenso philosophisch wie soziologisch. Foucault argumentiert historisch, aber in der Ordnung der Dinge wird viel eher philosophisch als historisch im engeren Sinne nachgedacht. Beide Autoren haben, könnte man sagen, erstaunliche Wirkungen in der Soziologie entfaltet, obwohl (oder gerade weil) sie disziplinäre "Grenzgänger" sind.68
Beide tragen bei zur Entwicklung einer nicht-anthropozentrischen neuen Soziologie,69 wobei sie jeweils aus einem ganz unterschiedlichen Winkel neues Licht auf soziologische Fragen werfen. Bei Latour besteht dieser in Akteurhaftigkeit und sozialer Relevanz nicht-menschlicher Entitäten, die ein anderes Handlungs-/Aktivitätskonzept mit sich bringen und die Heterogenität des Sozialen bekunden. Bei Foucault sind es die Aktualität, Akt-haftigkeit der gegenwärtigen historischen Situation,70 deren Bruchlinien und Heterogenität, in strategischen Begriffen gedacht, nicht nur vergangene Situationen und Epochen verständlich (und interessant) machen, sondern auch Ansatzpunkte für veränderndes Handeln in der Gegenwart (bzw. "Aktualität") zeigen.71 So gibt es letztlich mehr Gemeinsamkeiten, als man vielleicht erwartet hätte. Sie zeigen, dass der Versuch, Latours Soziologie als Antwort auf die (oder Ausweg aus den) strukturellen Eigenarten der anthropologischen Soziologie des 19. Jahrhunderts zu verstehen, auch als Schlüssel dienen kann, um eine Verbindung von Foucault zu Latour verständlich zu machen.
Notes
- Siehe etwa Hartmut Rosa, David Strecker und Andrea Kottmann, Soziologische Theorien (Konstanz: UVK, 2007); Dirk Kaesler, Hg., Aktuelle Theorien der Soziologie: von Shmuel N. Eisenstadt bis zur Postmoderne (München: Beck, 2005). [^]
- Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Frankfurt a. M. 2015 [23. Aufl.]). [^]
- Programmatisch dargestellt in Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007), aber auch behandelt in Existenzweisen. Eine Anthropologie der Modernen (Berlin: Suhrkamp, 2014). Dass meine Überlegungen ihren Ausgang nehmen von Foucaults Ordnung der Dinge und Latours Existenzweisen, liegt daran, dass diese beiden Werke im Mittelpunkt des Workshops "Foucault trifft Latour" standen, der im Herbst 2017 im Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien stattfand, wo ich eine erste Fassung meiner Gedanken vortrug. Ich danke Le foucaldien für die Einladung, den Moderatoren Simon Ganahl und Patrick Kilian sowie den anderen Vortragenden und dem Publikum für die lebendige Diskussion. Für die Überarbeitung dieses Texts konnte ich dankbar Nutzen aus zwei anonymen Gutachten ziehen. [^]
- Zum Beispiel in Martin Saar, Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault (Frankfurt a. M.: Campus, 2007), 172–186, Hubert L. Dreyfus und Paul Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik (Frankfurt a. M.: Athenäum, 1987), 51ff. [^]
- Johannes Angermüller, "Michel Foucault – auf dem Weg zum soziologischen Klassiker?," Soziologische Revue 27 (2004); Marcelo Otero, "La sociologie de Michel Foucault. Une critique de la raison impure," Sociologie et sociétés 38, no. 2 (2006); Bernard Lahire, "L'esprit sociologique de Michel Foucault," in L'esprit sociologique (Paris: Éd. la Découverte, 2007); Reiner Keller, Michel Foucault (Konstanz: UVK, 2008); Sabine Maasen, Wissenssoziologie (Bielefeld: transcript, 2009), 39–46. Vorbehalte äußert Hubert Knoblauch, "Der Krieg, der Diskurs und die Paranoia der Macht. Michel Foucaults Verteidigung der Gesellschaft," Soziologische Revue 23 (2000). Auch vonseiten der Frankfurter Schule war man lange Zeit skeptisch hinsichtlich einer Soziologie Foucaults, siehe dazu genauer Robert Seyfert, "Foucault-Rezeption in der deutschsprachigen Soziologie", in Handbuch Geschichte der deutschsprachigen Soziologie, Hg. Stephan Moebius und Andrea Ploder (Wiesbaden: Springer, 2018). Als weiteren Überblick zur soziologischen Rezeption Foucaults, siehe Hannelore Bublitz, "Soziologie", in Foucault-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Hg. Clemens Kammler, Rolf Parr und Ulrich Johannes Schneider (Stuttgart: Metzler, 2014). [^]
- Die fehlende Auseinandersetzung der Soziologie mit der anthropologischen Grundstruktur der eigenen Disziplin konstatiert auch Petra Gehring, "Wird er sich auflösen? Foucaults Anthropologiekritik – ein Retraktandum", in Fines Hominis? Zur Geschichte der Philosophischen Anthropologiekritik, Hg. Marc Rölli (Bielefeld: transcript, 2015), 195, Anm. [^]
- Die Frage, ob nicht Foucaults eigene Soziologie – wenn man denn von einer solchen sprechen kann – ebenfalls als eine nicht-anthropologische bezeichnet werden kann, klammere ich zunächst aus. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 414. [^]
- Friedrich Kittler, "Einleitung", in Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. Programme des Poststrukturalismus, Hg. Friedrich Kittler (Paderborn [u.a.]: Schöningh, 1980). Das soziologische Denken setzt mit Comte und Marx wesentlich früher ein, die beide von Foucault des Öfteren zitiert werden. Die Klassiker der akademischen Soziologie – Durkheim, Simmel und Weber – lassen sich allerdings um 1900 situieren. [^]
- Meiner Meinung nach verunklart ein weiter Begriff von "Anthropologie" das Problem, um das es Foucault geht. Ein solcher umfaßt neben der biologischen auch die philosophische Anthropologie, die ja – wenn wir darunter die Denkschule aus dem 20. Jahrhundert verstehen – nicht als Grundlage der Soziologie gelten kann, sondern eher aus der anthropologischen Struktur der Humanwissenschaften hervorgeht und meines Erachtens gesondert zu betrachten wäre (genauer s.u. unter "4. Die nicht-anthropozentrische Soziologie der ANT"), wie auch die "anthropologie" und "anthropology", die im Französischen und Englischen ebenfalls die Ethnologie umfassen. Auch um diese beiden Bedeutungsnuancen des Begriffs auszuschließen, spreche ich im Folgenden lieber von "anthropozentrisch" oder "Anthropologik", wo Foucault "anthropologisch" bzw. "Anthropologie" sagt. [^]
- Foucault setzt das Zitat folgendermaßen fort: "…eine Untersuchung des Menschen im Rahmen von Regeln und Konflikten (aber diese kann man interpretieren, und man interpretiert sie unaufhörlich auf sekundäre Weise, entweder von den Funktionen her, als seien sie organisch miteinander verbunden, oder von den Bedeutungssystemen her, als seien sie geschriebene und gesprochene Texte)", Foucault, Die Ordnung der Dinge, 429. [^]
- Siehe etwa Harold M. Collins und Steven Yearley, "Epistemological Chicken," in Science as practice and culture, Hg. Andrew Pickering (Chicago: University of Chicago Press, 1992); Bettina Heintz, "Die soziale Welt der Wissenschaft. Entwicklungen, Ansätze und Ergebnisse der Wissenschaftsforschung," in Wissenschafts- und Technikforschung in der Schweiz, Hg. Bettina Heintz und Bernhard Nievergelt (Zürich: Seismo-Verlag, 1998), 86f.; Johannes Weyer, "Die Kooperation menschlicher Akteure und nicht-menschlicher Agenten. Ansatzpunkte einer Soziologie hybrider Systeme," in Das Tätigsein der Dinge. Beiträge zur Handlungsträgerschaft von Technik, Hg. Wilhelm Berger und Günter Getzinger (München u. Wien: Profil Verlag, 2009), 67ff. [^]
- Zum Handeln und sozialen Handeln sowie zum agency-Konzept im Zusammenhang mit Dingen siehe Gustav Roßler, Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft. Sozialität – Kognition – Netzwerke (Bielefeld: transcript, 2016), 84ff.; vgl. außerdem ibid., 57, 71. [^]
- Latour, Existenzweisen, 563. [^]
- Philipp Sarasin, Michel Foucault zur Einführung (Hamburg: Junius, 2005), 86. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 375. Vgl. auch Petra Gehring, Foucault – Die Philosophie im Archiv (Frankfurt a. M.: Campus, 2004), 67–70. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 425. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 426; Hervorhebung hinzugefügt. [^]
- Zwar oft als absichtliches oder zweckrationales Handeln verstanden, meist aber mit einer Mehrdeutigkeit verwendet, die auch das phänomenologische Verständnis von Intentionalität als "Bewusstsein von…" einbezieht. Siehe dazu genauer Roßler, Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft, 114–118. [^]
- Diese drei Wörter stehen für die drei Modelle der Humanwissenschaften – das biologische, das ökonomische und das sprachwissenschaftliche – (Foucault, Die Ordnung der Dinge, 428), nun in die Soziologie gespiegelt. Siehe auch nachfolgende Anmerkung (21). [^]
- Für Foucault nicht notwendigerweise. Könnte es nicht sein, fragt er, "daß das der Norm Eigene im Verhältnis zu der von ihr bestimmten Funktion, das der Regel Eigene im Verhältnis zu dem von ihr bestimmten Konflikt, das dem System Eigene im Verhältnis zur Bedeutung, die es möglich macht, genau das ist, daß es nicht dem Bewußtsein gegeben wird?", ibid., 433. [^]
- Ibid. [^]
- Foucault geht "mit Nietzsche entscheidend über Feuerbachs und Marxens Anthropologie des empfindenden und gestaltenden Menschen hinaus, der das Zentrum einer sinnvollen Welt sei", Sarasin, Michel Foucault zur Einführung, 92. Genauer zu Marx siehe: Roberto Nigro, "Philosophie und Anthropologiekritik bei Marx", in Fines Hominis? Zur Geschichte der Philosophischen Anthropologiekritik, Hg. Marc Rölli (Bielefeld: transcript, 2015), sowie Étienne Balibar, "Foucault und Marx. Der Einsatz des Nominalismus," in Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Hg. François Ewald und Bernhard Waldenfels (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991). [^]
- Bzw. er zögert, dies zu tun, er hält nämlich den Ausdruck "Metasprache" in diesem Zusammenhang für nicht treffend (entscheidet sich letztlich für "hypo-epistemologisch"), Foucault, Die Ordnung der Dinge, 425f. [^]
- Ibid., 384. [^]
- Ich buchstabiere diese Polarität hier in ihren Konsequenzen für die (aktuellere) Soziologie aus, wobei ich nicht genauer der weiteren Argumentation Foucaults folge, der zusätzliche Differenzierungen freilegt zwischen falschem Bewusstsein und richtiger Erkenntnis, positivistischem und prophetischem soziologischen Diskurs, ibid., 384ff. [^]
- Vgl. den Kommentar Latours: "da sich die klassische Soziologie der zahlreichen Widersprüche bewusst ist, die ihre eigene Existenz mit sich bringt, sich gleichzeitig über dem Gedränge und mittendrin zu befinden, zugleich innerhalb der Gesellschaft und außerhalb, vervielfältigt sie die methodologischen Vorsichtsmaßnahmen, die hermeneutischen Zirkel, die Rückwirkungen, die Zeichen von Bescheidenheit. Sie ist epistemologisch und spricht, sie spricht immer noch." Bruno Latour, Aramis oder Die Liebe zur Technik, Tübingen: Mohr Siebeck (2018), 195. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 398. [^]
- Ibid., 398f. [^]
- "…die Vermittlungen einer ihn [den Menschen] fast unendlich beherrschenden Zeit", ibid., 399. [^]
- Ibid., z.B. 399ff. [^]
- Vgl. Roßler, Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft, 132–134. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 417, zum Psychologismus ibid., 279, 315. [^]
- Ibid., 127. [^]
- Ibid., 252. [^]
- Ibid., 396. [^]
- Michel Foucault, "Ist es also wichtig, zu denken?," in Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band IV: 1980–1988, Hg. Daniel Defert und François Ewald (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005), 221. [^]
- Vgl. Bruno Latour, "Elementare Formen der Soziologie. Fortgeschrittene Formen der Theologie," Soziopolis (2017), https://soziopolis.de/erinnern/jubilaeen/artikel/elementare-formen-der-soziologie/. [^]
- Bruno Latour, Les microbes, guerre et paix, suivi de Irréductions (Paris: A.M. Métailié, 1984), 177ff. [^]
- Latour, Existenzweisen, 483. [^]
- Das genauere Verhältnis zwischen Denken, Gruppe, Wissen und Wissenschaft bedürfte einer ausführlicheren Diskussion, die hier zu weit führen würde. Siehe etwa Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und vom Denkkollektiv (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1980 [1935]); Bruno Latour, "Ist Wissen ein Existenzmodus?," in Wissenschaft im Museum – Ausstellung im Labor, Hg. Anke te Heesen und Margarete Vöhringer (Berlin: Kadmos, 2014). Zur Reduktion Isabelle Stengers, L'invention des sciences modernes (Paris: Éd. de la Découverte, 1993), insbesondere 132. [^]
- Vgl. das explizit geäußerte Vorhaben, "das Wertesystem der 'westlichen Gesellschaften' zu rekonstruieren", Latour, Existenzweisen, 66. [^]
- Für die Technik etwa Aramis oder Die Liebe zur Technik (2018 [1992]), für die Wissenschaft: Bruno Latour und Steve Woolgar, Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts (second edition with a new postword) (Princeton 1986 [1979]), sowie Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2000 [1999]); für den Existenzmodus der Metamorphose: Petite réflexion sur le culte moderne des dieux Faitiches (Paris: Les empêcheurs de penser en rond, 1996). [^]
- Henning Laux, Hg., Bruno Latours Soziologie der 'Existenzweisen'. Einführung und Diskussion (Bielefeld: transcript, 2016). [^]
- Latour, Existenzweisen, 113f. [^]
- Robert Seyfert, "Foucault-Rezeption in der deutschsprachigen Soziologie", in Handbuch Geschichte der deutschsprachigen Soziologie, Hg. Stephan Moebius und Andrea Ploder (Wiesbaden: Springer, 2018), 655. [^]
- Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, 323ff. [^]
- Existenzweisen, 410. [^]
- Ibid., 425. [^]
- In der Art von John R. Searle, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1997). [^]
- Dazu genauer Latour, Existenzweisen, 506f., 514–16, 572. [^]
- Für Tarde lassen sich auch ein Industrieerzeugnis, ein Gedicht, eine Formel, eine politische Idee als "soziale Gebilde" mit einem "mehr oder weniger klar umrissenen Charakter" betrachten: Gabriel Tarde, Monadologie und Soziologie, übersetzt von Juliane Sarnes und Michael Schillmeier (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2009 [frz. 1893]), 99. [^]
- Etwa in Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1987 [1984]), 344. [^]
- Luc Boltanski und Laurent Thévenot, Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft (Hamburg: Hamburger Edition 2007 [1991]). Zur Objektorientiertheit dieses soziologischen Ansatzes siehe Roßler, Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft, 121f. Interessanterweise sieht Paul Veyne diese beiden Soziologen, wiewohl eigenständig, durchaus im Geiste Foucaults arbeiten: Paul Veyne, Foucault: der Philosoph als Samurai (Stuttgart: Reclam, 2009), 19, 180f. Anm. 20: "die subtile Präzision ihrer Analysen, die nicht auf Universalien zurückgreift und die Realität tief durchdringt, erinnert an die Arbeitsweise Foucaults" (ibid., 181). [^]
- Joachim Fischer, "Soziologie aus der Perspektive der Philosophischen Anthropologie", in Der Mensch – nach Rücksprache mit der Soziologie, Hg. Michael Corsten und Michael Kauppert (Frankfurt a. M.: Campus, 2013). [^]
- Zu Luhmanns Überlegungen hinsichtlich einer Fundierung der Soziologie durch die Anthropologie siehe Michael Kauppert, "Tiefsinnige Frage, leichtfertige Antworten? Der Mensch vor einer Rücksprache mit der Soziologie", ibid., 16. Zu den Problemen und Paradoxien der philosophischen Anthropologie siehe Jean-Claude Monod, "Das 'Anthropologieverbot' bei Husserl und Heidegger und seine Übertretung durch Blumenberg", Trivium 25 (2017), http://journals.openedition.org/trivium/5461. [^]
- Bruno Latour, "On actor-network theory. A few clarifications," Soziale Welt 4 (1996), 377; weiterhin: "die Infrasprache der Semiotik schützt gegen die Metasprache der Soziologie", Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, 96; in diesem Zusammenhang weist Latour darauf hin, dass die Akteur-Netzwerk-Theorie sich halb der Ethnomethodologie Garfinkels und halb der Semiotik Greimas' verdanke, ibid. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 447ff. [^]
- Ibid., 450f. [^]
- Foucault gibt der Geschichte "die Rolle einer inneren Ethnologie unserer Kultur und unserer Rationalität", Michel Foucault, "Über verschiedene Arten, Geschichte zu schreiben," in Dits et Ècrits. Schriften 1 (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2001), 767. Vgl. Gehring, Foucault – Die Philosophie im Archiv, 148. [^]
- Wie er es mit Jack Goody nennt, vgl. Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008 [1995]), 20. [^]
- In Existenzweisen, 40f., beschrieben als Gegensatz zwischen Natur und Gesellschaft, zwischen Tatsachen und Werten und ibid., 179, als Bifurkation zwischen primären und sekundären Qualitäten. [^]
- Foucault, Die Ordnung der Dinge, 410ff. Vgl. Sarasin, Michel Foucault zur Einführung, 90ff. [^]
- Diese Behauptung kann man kaum wiedergeben, ohne zumindest das Gegenbeispiel von Max Weber anzuführen, für den bekanntlich Nietzsche wichtig war, was Foucault in späteren Jahren mit dazu gebracht hat, sich mehr mit Weber zu beschäftigen: Árpád Szakolczai, Max Weber and Michel Foucault. Parallel life-works (London u. New York: Routledge, 1998), 1f. [^]
- Frank Fischbach, "Aufklärung et modernité philosophique. Foucault entre Kant et Hegel," in Lectures de Michel Foucault (Bd. 2). Foucault et la philosophie. Textes réunis par Emmanuel da Silva, Hg. Philippe Artières et al. (Paris: ENS Éditions, 2008); Michel Foucault, "Was ist Aufklärung?," in Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band IV: 1980–1988, Hg. Daniel Defert und François Ewald (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005). [^]
- Auch dass er später dieses Buch selbst kritisiert hat, wird bisweilen vermerkt. Zu den sich im Laufe der Zeit verändernden Selbsteinschätzungen Foucaults hinsichtlich der Ordnung der Dinge vgl. Philippe Artières et al., "Introduction," in Les mots et les choses de Michel Foucault. Regards critiques 1966–1968, Hg. Philippe Artières et al. (Caen: Presses universitaires de Caen, 2009), 19–27. [^]
- Latour, Wir sind nie modern gewesen (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008 [1995]). [^]
- Als ein solcher wird Foucault charakterisiert in Keller, Michel Foucault, 10, 17. [^]
- Auch wenn dem hier nicht detaillierter nachgegangen werden kann, scheint es mir ausgemacht, dass Foucaults materiale Beiträge zur Soziologie in seinen späteren Arbeiten einer solchen nicht-anthropozentrischen Soziologie entsprechen. Hier müsste man in eine grundsätzlichere Diskussion über Foucaults Verhältnis zur Soziologie eintreten, über seine Sozialtheorie, Gesellschaftsdiagnosen, seine Rezeption in der Soziologie via Diskurs, Gouvernementalität, Macht etc. [^]
- Gilles Deleuze, "Das Leben als Kunstwerk," in Unterhandlungen. 1972–1990 (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993), 137. [^]
- Michel Foucault, "Nietzsche, die Genealogie, die Historie," in Von der Subversion des Wissens, Hg. Walter Seitter (München: Hanser, 1974), 90; Paul Veyne, "Le dernier Foucault et sa morale," Critique 471–472 (1986); Luca Paltrinieri, L' expérience du concept. Michel Foucault entre épistémologie et histoire (Paris: Publications de la Sorbonne, 2012), 170, 179. [^]
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